Sandy Hipp ist examinierte Pflegefachkraft und Leitung Pflege bei der SHD Seniorenhilfe. Ihre Aufgaben sind vielfältig und reichen von der Implementierung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung und der Entwicklung von neuen Konzepten bis hin zur Beratung, Schulung und Anleitung von Live-In-Betreuungspersonen und den Angehörigen. Im Interview spricht sie unter anderem über die Schnittstelle von Betreuung in häuslicher Gemeinschaft und professioneller Pflege und typische Fragen und Sorgen von Seniorinnen und Senioren und deren Angehörigen.
Frau Hipp, wie berühren sich die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft und die professionelle Pflege?
Sandy Hipp: Die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft und die professionelle Pflege haben durchaus einige wichtige Schnittstellen, beispielsweise bei der Ernährung der pflegebedürftigen Personen oder der Hautpflege. Viele Dinge, die uns in unserem Alltag als selbstverständlich erscheinen, da wir sie eigenständig durchführen können, müssen bei pflegebedürftigen Personen von Angehörigen, Betreuungskräften oder sogar Fachkräften durchgeführt werden. Genau aus diesem Grund gibt es viele Überschneidungen von der professionellen Pflege hin zur „Laienpflege“, die unter anderem unsere Live-In-Betreuungspersonen durchführen. Die professionelle Pflege und die Laienpflege stehen aber nicht konträr zueinander, sondern ergänzen sich komplementär und müssen zusammenarbeiten. Ein Beispiel dazu: Ein Kunde ist aufgrund eines Schlaganfalls und weitreichenden Einschränkungen nicht mehr in der Lage, seine Körperpflege durchzuführen. Sowohl die professionelle Pflege als auch die Laienpflege kann die Körperpflege des Kunden durchführen. Die Live-In-Betreuungsperson wird nach Intuition und Anleitung arbeiten, die professionelle Kraft hat eine höhere Fachkompetenz, zum Beispiel im Bereich der Kontrakturenprophylaxe und der Dekubitusprophylaxe oder der Einschätzung von Risikofaktoren durch Patientenbeobachtung.
An welchen Punkten bestehen Unterschiede?
Sandy Hipp: Unterschiede bestehen darin, dass bei der professionellen Pflege höhere Fachkompetenzen vorhanden sind. Der Blick ist deutlich geschulter, sodass die Patientenbeobachtung, die Einschätzung von Risikofaktoren, das Planen, Durchführen und Evaluieren von Pflegemaßnahmen sich deutlich von der Arbeit abgrenzt, die so nicht von der Laienpflege durchgeführt werden kann. Aufgrund des enormen Fachkräftemangels fehlt den Fachkräften oftmals die Zeit, um den Patienten in sozialen Belangen wie den Schutz vor sozialer Isolation durch ein ausführliches Gespräch oder einen Spaziergang empathisch zu Unterstützen. Genau hier liegt aber der Vorteil bei der Live-In-Betreuung. Da in der Regel eine Eins-zu-Eins-Betreuung vorliegt, also eine Live-In-Betreuungsperson höchstens zwei Pflegebedürftige betreut, kann die Live-In-Betreuungsperson in ihrer Arbeit deutlich mehr auf diese Themen eingehen.
Was sind Ihre Aufgaben bei der SHD Seniorenhilfe?
Sandy Hipp: Meine Aufgaben sind sehr vielfältig, angefangen von der Implementierung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung, Entwicklung von neuen Konzepten wie dem Pflegecheck bis hin zur Beratung, Schulung und Anleitung von Live-In-Betreuungspersonen sowie den Angehörigen. Ebenso arbeite ich interdisziplinär mit den betreuenden ambulanten Diensten, Ärzten oder Therapeuten sowie den Krankenkassen zusammen, die auch für den Kunden zuständig sind. Auf diese Weise wird der Kunde ganzheitlich betrachtet und erhält eine stetig angepasste und qualitativ hochwertige Versorgung. Zudem haben wir in diesem Sommer in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Carework an zwei Standorten einen Betreuungs- und Alltagsdienst gegründet. Die Carework-SHD bietet ihre niederschwelligen Leistungen zur Entlastung unserer Kundinnen und Kunden, Angehörigen und Live-In-Betreuungspersonen sowie allen Neukunden in Stuttgart und Dortmund an. Auch hier bin ich in beratender und leitender Funktion tätig.
Wo sehen Sie den größten Beratungsbedarf?
Sandy Hipp: Den größten Beratungsbedarf sehe ich bei der Unterstützung von Angehörigen. Oftmals fühlen sich die Familien sehr alleingelassen im „Pflegedschungel“. Sie sind sehr verunsichert und wissen in den meisten Fällen nicht, was ihnen alles zusteht oder wo sie welche Hilfe herbekommen können. Das beste Beispiel dazu ist die Beantragung von Hilfsmitteln. Selten findet hierzu eine individuelle Beratung statt, sondern das gelistete Hilfsmittel der Krankenkasse wird einfach geliefert. Ob es passt oder nicht, ist in dem Zusammenhang leider oftmals zweitrangig. Hier habe ich in einigen Fällen schon individuell beraten können und durch die fachliche Begründung und meinen Einsatz bei der Krankenkasse das passende Hilfsmittel bekommen können.
Wie läuft ein typischer Beratungsprozess ab?
Sandy Hipp: Bei unserem neu entwickeltem Pflegecheck ist der Ablauf folgendermaßen: Nachdem die Erstberatung stattgefunden hat, erhalten die Kundinnen und Kunden in der Informationsmappe unter anderem einen Flyer mit allen wichtigen Punkten zum Pflegecheck. Sollten sie sich für unsere Agentur entscheiden, bekommen sie eine persönliche Kundenbetreuerin zugewiesen. Die Liv-In startet ihre Tätigkeit. Nach ca. vier Wochen Eingewöhnungs- und Einarbeitungszeit kontaktiere ich die Kundinnen und Kunden und biete den Check telefonisch oder als persönlichen Termin an. Nach Rücksprache mit der persönlichen Kundenbetreuerin, dem Kontakt mit dem Kunden beziehungsweise seinen Angehörigen und eventuell einem persönlichen Gespräch und der Beobachtung vor Ort, kann ich anhand einer ausführlichen Anamnese alle möglichen Risikofaktoren feststellen. Im Anschluss erstelle ich dazu Maßnahmen, um gegen diese Risikofaktoren vorzugehen. Darunter fällt auch die Schulung, Anleitung und Beratung der Angehörigen und der Live-In-Betreuungspersonen. Nach einem individuell festgesetztem Zeitrahmen werde ich gemeinsam mit allen Beteiligten die zuvor implementierten Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit überprüfen und je nach Ergebnis erneut anpassen. Durch den ständigen Austausch mit der persönlichen Kundenbetreuerin können wir so einen kontinuierlichen Kreislauf sicherstellen, der die Qualität der Versorgung des Kunden gewährleistet.
Können Sie einige typische Fragen und Sorgen von Seniorinnen und Senioren und deren Angehörigen schildern?
Sandy Hipp: Ich merke immer wieder, dass sich viele Seniorinnen und Senioren, aber auch Angehörige ziemlich allein fühlen in dem ganzen „Pflegechaos“. Ich freue mich jedes Mal, wenn Kundinnen und Kunden mir die Rückmeldung geben, wie dankbar sie sind, dass ich mich ihrer Sorgen und Nöte annehme. Natürlich helfe ich, die organisatorischen Dinge zu lösen und unterstütze auch mit meiner Fachexpertise so gut ich kann, doch ein nicht zu unterschätzender Teil ist die Empathie. Das Mitfühlen in schwierigen Situationen, Ansprechpartnerin auch für Sorgen zu sein, ist mindestens genauso stark zu bewerten wie die fachliche Unterstützung.