Der Begriff der Pflegebedürftigkeit beschreibt einen Zustand, in dem eine Person aufgrund von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der körperlichen, kognitiven oder psychischen Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten der Hilfe durch andere bedarf.
Pflegebedürftigkeit kann in unterschiedlichen Lebensphasen eintreten und verschiedene Ursachen haben. Sie wird dann als solche definiert, wenn eine Person voraussichtlich mindestens sechs Monate lang auf Hilfe angewiesen ist.
Ursachen und Beispiele für Pflegebedürftigkeit
Die Ursachen für Pflegebedürftigkeit sind vielfältig und werden im Rahmen der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) oder MEDICPROOF nach den Auswirkungen auf die Selbstständigkeit und Fähigkeiten beurteilt (gemäß SGB XI). Die Gründe lassen sich grob in folgende Kategorien einteilen:
Alter und degenerative Erkrankungen
- Häufig im höheren Lebensalter.
- Chronische oder fortschreitende Krankheiten, die zu einem stetigen Abbau der körperlichen und/oder geistigen Leistungsfähigkeit führen.
- Beispiele: Demenz (z.B. Alzheimer) mit Beeinträchtigung der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten, was zu Orientierungsverlust und hohem Betreuungsbedarf führt. Schlaganfall (Apoplex), der oft zu dauerhaften Lähmungen (Mobilität) und Sprachstörungen führt. Chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Multiple Sklerose (MS) mit Beeinträchtigung von Mobilität und Selbstversorgung.
Akute Ereignisse und Unfälle
- Plötzlich, unabhängig vom Alter.
- Ein singuläres Ereignis führt zu schweren, oft irreversiblen körperlichen oder geistigen Schäden.
- Beispiele: Schwerer Verkehrsunfall mit Querschnittlähmung oder Schädel-Hirn-Trauma. Schwerwiegende Krebserkrankungen, die selbst und durch Therapiefolgen für längere Zeit eine Pflegebedürftigkeit begründen können.
Psychische und kognitive Beeinträchtigungen
- Kann in jedem Alter auftreten, manifestiert sich aber oft erst im Laufe der Zeit.
- Starke Einschränkungen im Verhalten und in den geistigen Fähigkeiten, die eine eigenständige Lebensführung verunmöglichen.
- Beispiele: Schwere psychische Erkrankungen, die zu einer Beeinträchtigung der Alltagsgestaltung und sozialer Kontakte führen. Intelligenzminderung oder geistige Behinderung, die dauerhafte Unterstützung bei der Selbstversorgung und im Umgang mit krankheits-/therapiebedingten Anforderungen erfordern.
Temporäre vs. anhaltende Pflegebedürftigkeit
Für die Anerkennung durch die Pflegeversicherung ist die Dauer des Hilfebedarfs entscheidend.
Temporäre Pflegebedürftigkeit
Hier wird ein Hilfebedarf von voraussichtlich weniger als sechs Monaten erwartet. Die Ursache ist meist eine akute Krankheit, eine vorübergehende Verletzung oder eine Genesungsphase nach einer Operation. Ziel ist die vollständige oder weitgehende Wiederherstellung der Selbstständigkeit (Rehabilitation).
In diesem Fall greifen in der Regel keine Leistungen der Pflegeversicherung (SGB XI), sondern vorrangig Leistungen der Krankenversicherung (SGB V), wie zum Beispiel die Häusliche Krankenpflege oder Kurzzeitpflege nach einem Krankenhausaufenthalt. Ein Beispiel ist der Hilfebedarf nach einem einfachen Beinbruch oder einer Routine-Operation, nach denen eine vollständige Genesung innerhalb weniger Monate erwartet wird.
Anhaltende (Dauerhafte) Pflegebedürftigkeit
Hier wird ein Hilfebedarf von voraussichtlich mindestens sechs Monaten erwartet. Die Ursache liegt in chronischen, fortschreitenden oder irreversiblen Erkrankungen oder Schädigungen. Nur in diesem Fall gilt eine Person im Sinne des SGB XI als pflegebedürftig und hat nach der Einstufung in einen Pflegegrad Anspruch auf die Leistungen der Pflegeversicherung (SGB XI). Das Hauptziel ist die Sicherung und bestmögliche Förderung der verbliebenen Selbstständigkeit. Beispiele sind die dauerhafte Hilfe bei der Körperpflege aufgrund von fortgeschrittener Demenz oder nach einem schweren Schlaganfall mit bleibenden Lähmungen.
Rechtliche Grundlagen zur Pflegebedürftigkeit
Die rechtliche Grundlage zur Pflegebedürftigkeit bildet das Elfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), die Soziale Pflegeversicherung.
Zentrales Kriterium für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist nicht die medizinische Diagnose einer Krankheit oder Behinderung, sondern der Grad der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit und der Fähigkeiten des Betroffenen bei der Bewältigung des Alltags. Ziel des modernen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der in Deutschland seit dem 1. Januar 2017 gilt, ist die gleichberechtigte Berücksichtigung von körperlichen, geistigen und seelischen Einschränkungen.
Feststellung und Pflegegrade
Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit erfolgt auf Antrag bei der zuständigen Pflegekasse (die an die Krankenkasse angegliedert ist). Die Pflegekasse beauftragt daraufhin den Medizinischen Dienst (MD) oder, bei privat Versicherten, MEDICPROOF mit der Begutachtung der betroffenen Person.
Die Gutachter verwenden ein standardisiertes Verfahren, das Neue Begutachtungsinstrument (NBA), um die verbliebene Selbstständigkeit der Person in sechs verschiedenen Lebensbereichen (Modulen) zu beurteilen und dafür Punkte zu vergeben. Die Gewichtung der Module trägt der Komplexität unterschiedlicher Beeinträchtigungen Rechnung.
Die sechs Module sind:
- Mobilität: Wie selbstständig kann die Person die Körperhaltung ändern und sich fortbewegen (z. B. im Bett, innerhalb der Wohnung, Treppen steigen)?
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Wie gut kann die Person sich orientieren, Entscheidungen treffen, Gespräche führen und Sachverhalte verstehen?
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Wie häufig und stark treten Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Unruhe, Ängste, Aggressivität) oder psychische Belastungen auf, die eine Unterstützung notwendig machen?
- Selbstversorgung: Wie selbstständig kann die Person sich bei der Körperpflege, der Ernährung und der Ausscheidung versorgen?
- Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: Welche Unterstützung wird benötigt beim Umgang mit der Krankheit und bei Behandlungen (z. B. Medikamenteneinnahme, Verbandswechsel, Arztbesuche)?
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Wie selbstständig kann die Person ihren Tagesablauf gestalten, sich beschäftigen und soziale Kontakte pflegen?
Die Gesamtpunktzahl aus der Begutachtung führt zur Einstufung in einen der fünf Pflegegrade (PG 1 bis PG 5). Diese bestimmen maßgeblich die Höhe der Leistungen der Pflegeversicherung.
Notwendigkeit der Feststellung und Antragstellung
Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen sollten die Feststellung der Pflegebedürftigkeit und die damit verbundene Einstufung in einen Pflegegrad unverzüglich beantragen, sobald ein dauerhafter Hilfebedarf erkennbar wird. Der Hauptgrund hierfür ist die finanzielle und organisatorische Absicherung der Pflege.
Nur mit einem festgestellten Pflegegrad erwirbt die pflegebedürftige Person einen Anspruch auf die Leistungen der Pflegeversicherung nach SGB XI, wie z. B. Pflegegeld zur Entlastung pflegender Angehöriger, Pflegesachleistungen für ambulante Pflegedienste oder Zuschüsse zur (teil-)stationären Pflege. Darüber hinaus erhalten pflegende Angehörige bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen soziale Absicherung, insbesondere die Zahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung durch die Pflegekasse.
Die Antragstellung kann formlos bei der zuständigen Pflegekasse erfolgen, die dann ein entsprechendes Formular übermittelt. Da Leistungen der Pflegeversicherung in der Regel erst ab dem Monat der Antragstellung gewährt werden und nicht rückwirkend für die Vergangenheit, ist eine zügige Antragstellung ratsam.
Leistungen der Pflegeversicherung bei Pflegebedürftigkeit
Mit der Feststellung eines Pflegegrades erwirbt die pflegebedürftige Person einen Anspruch auf Leistungen aus der Sozialen Pflegeversicherung. Diese Leistungen können je nach Pflegegrad und individueller Situation variieren und umfassen unter anderem:
- Pflegegeld: Eine monatliche Geldleistung zur Organisation der Pflege in Eigenregie (z. B. durch Angehörige).
- Pflegesachleistungen: Die Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes.
- Kombinationsleistung: Eine Kombination aus Pflegegeld und Pflegesachleistungen.
- Tages- und Nachtpflege: Teilstationäre Versorgung.
- Kurzzeitpflege: Zeitlich befristete vollstationäre Pflege (z. B. nach einem Krankenhausaufenthalt).
- Verhinderungspflege: Ersatzpflege bei Ausfall der privaten Pflegeperson.
- Leistungen für vollstationäre Pflege: Zuschüsse zu den pflegebedingten Kosten im Pflegeheim.
- Entlastungsbetrag (§ 45b SGB XI): Ein monatlicher Betrag zur Finanzierung von Entlastungs- und Betreuungsangeboten.
- Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen und Pflegehilfsmittel: Zuschüsse für den barrierefreien Umbau der Wohnung sowie für Hilfsmittel (z. B. Pflegebett, Einlagen).
Die Leistungen der Pflegeversicherung sind keine Vollkostenversicherung; sie decken in der Regel nur einen Teil der tatsächlich entstehenden Pflegekosten ab. Überschreiten die Kosten die Leistungen der Pflegekasse und reichen die eigenen Mittel sowie die des Ehe- oder Lebenspartners nicht aus, kann die pflegebedürftige Person Hilfe zur Pflege beim Sozialamt (SGB XII) beantragen.
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