Künstliche Intelligenz soll die Pflege effizienter, sicherer und menschenwürdiger machen. Bund und Länder stellen dafür erhebliche Fördermittel bereit. Doch viele dieser Mittel fließen in große Modellprojekte oder stationäre Einrichtungen. Für die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft bleibt der Zugang oft erschwert. Die Praxis von KI und Pflege zeigt: Gerade hier könnte KI besonders wirksam zum Einsatz kommen – wenn die politischen Programme passgenau weitergedacht werden.
Von Stefan Lux, Geschäftsführer der SHD Seniorenhilfe Dortmund
In keinem Bereich ist der Widerspruch zwischen politischem Anspruch und alltäglicher Realität derzeit so deutlich wie in der Digitalisierung der Pflege. Auf der einen Seite stehen ambitionierte Programme: Das Bundesgesundheitsministerium fördert KI-Projekte mit Millionenbeträgen, zahlreiche Bundesländer – allen voran Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – unterstützen Modellvorhaben zur intelligenten Pflegeassistenz, und auch die Pflegereform 2023/24 stellt in Aussicht, dass technische Innovationen künftig strukturell gefördert werden. Auf der anderen Seite aber bleiben gerade die Versorgungsmodelle, die auf Nähe, Individualität und informelle Betreuung setzen, oft außen vor. Die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft, wie sie die SHD Seniorenhilfe Dortmund organisiert, ist ein solcher Fall.
Künstliche Intelligenz kann in der Betreuung in häuslicher Gemeinschaft auf vielfältige Weise hilfreich sein
Während die stationäre Altenpflege zunehmend mit technischen Assistenzsystemen, Dokumentationsrobotern oder digitaler Pflegeplanung ausgestattet wird, lebt das Modell der häuslichen Gemeinschaft von einem völlig anderen Prinzip: der konstanten Begleitung durch eine mitwohnende Betreuungskraft, dem Verbleib in der vertrauten Umgebung und einer individuellen, biografisch sensiblen Begleitung. Hier ist keine Infrastruktur vorhanden, die für klassische Modellförderung geeignet wäre. Es gibt keine Trägerschaft mit eigener IT-Abteilung, keine Forschungskooperation mit Universitätskliniken, kein Pflegepersonal im rechtlichen Sinn – sondern Menschen, die füreinander Verantwortung übernehmen, unterstützt von einer Vermittlungsagentur, die Qualität und Verlässlichkeit gewährleistet. Dass dieses Setting ebenso ein Ort für KI-gestützte Innovation sein kann, wird in politischen Konzepten bislang kaum mitgedacht.
Dabei wäre das Potenzial groß. Künstliche Intelligenz kann in der Betreuung in häuslicher Gemeinschaft auf vielfältige Weise hilfreich sein. Zum Beispiel in der Form von adaptiven Erinnerungs- und Orientierungshilfen für Menschen mit Demenz, als sprachgesteuerte Unterstützung für Betreuungskräfte bei der Alltagsstrukturierung oder auch durch lernende Systeme, die Veränderungen im Verhalten frühzeitig erfassen. Auch Anwendungen wie automatisierte Übersetzungstools, intelligente Kalender oder situationsbezogene Aktivierungsvorschläge könnten dazu beitragen, die Beziehung zwischen Betreuungskraft und betreuter Person zu stärken und zu erleichtern. Der Mehrwert liegt dabei nicht in der Automatisierung von Pflegehandlungen, sondern in der Entlastung und Begleitung der Beteiligten. Daraus folgt eine menschenzentrierte Form von Künstlicher Intelligenz, die nicht ersetzt, sondern ergänzt.
KI-gestützte Anwendungen im Live-in-Modell erproben
Um dieses Potenzial zu erschließen, braucht es allerdings eine politische Öffnung. Förderprogramme müssen nicht nur auf die institutionelle Pflege ausgerichtet sein, sondern auch auf alternative Versorgungsformen, die längst gelebte Realität sind. Gerade in der Betreuung in häuslicher Gemeinschaft leben viele hochbetagte, kognitiv eingeschränkte oder chronisch kranke Menschen, für die stationäre Pflege nicht in Frage kommt oder nicht gewünscht ist. Wenn die Politik es ernst meint mit der Digitalisierung als Instrument für Teilhabe, Entlastung und Qualitätssicherung, dann muss sie auch diese Betreuungsform systematisch in den Blick nehmen. Das bedeutet: Förderung von Projekten, die digitale oder KI-gestützte Anwendungen im Live-in-Modell erproben. Bereitstellung von Schulungskonzepten, die Betreuungskräfte auf einfache und alltagstaugliche Weise an die Technik heranführen. Und nicht zuletzt: rechtliche und strukturelle Klarheit, wie Anwendungen in der Betreuung eingesetzt werden können, ohne ethische oder datenschutzrechtliche Standards zu verletzen.
KI und Pflege: Zukunft nicht allein eine Frage der Technik, sondern der Haltung
Die SHD Seniorenhilfe Dortmund hat sich in den vergangenen Jahren konsequent für die Weiterentwicklung der Betreuung in häuslicher Gemeinschaft eingesetzt – immer im Spannungsfeld zwischen Nähe und Professionalität, zwischen Alltagstauglichkeit und Qualitätsanspruch. Auch beim Thema KI verfolgen wir einen klaren Standpunkt: Technische Lösungen sind willkommen, wenn sie den Alltag erleichtern, die Beziehung stärken und die Selbstbestimmung der betreuten Person wahren. Doch damit solche Lösungen den Weg in die Praxis finden, müssen sie dort gedacht und erprobt werden, wo die Menschen leben – nicht nur dort, wo es Forschungsbudgets und Modellstationen gibt. Politik und Pflegewirtschaft sind hier gemeinsam gefragt, um eine Innovationskultur zu schaffen, die nicht bei der Theorie stehen bleibt, sondern in den Wohnzimmern und Alltagsgemeinschaften ankommt, in denen Pflege längst Realität ist.
Die Zukunft der Pflege ist nicht allein eine Frage der Technik, sondern der Haltung. Wer Künstliche Intelligenz nicht gegen, sondern mit den Menschen entwickelt, wenn Förderung nicht nur auf Strukturen, sondern auf Lebensrealitäten zielt, dann kann die Digitalisierung auch im Live-in-Modell ihren Platz finden. Für die SHD Seniorenhilfe Dortmund ist das keine Frage der Zukunft, sondern der Gegenwart – und dazu eine Einladung an Politik und Gesellschaft, gemeinsam neue Wege zu gehen.