haken-gold

Anerkannt nach § 45a SGB XI. Sie können mit der Pflegekasse abrechnen.

Pflegenotstand: Betreuung in häuslicher Gemeinschaft als Antwort

Eine Pflegekraft reibt sich erschöpft die Schläfen

Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Strukturproblem in der Versorgung älterer Menschen. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt seit Jahren kontinuierlich – und damit auch der Bedarf an Betreuung und Pflege. Trotz aller Anstrengungen in der Ausbildung und Anwerbung von Pflegekräften ist absehbar, dass sich die Lücke zwischen Bedarf und verfügbarer Fachkraft in den kommenden Jahren weiter vergrößern wird. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft als Antwort auf den Pflegenotstand an Bedeutung.

Von Stefan Lux, Geschäftsführer der SHD Seniorenhilfe Dortmund

Die Versorgung älterer Menschen gehört zu den großen sozialen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte. Deutschland steuert auf eine Pflegekrise zu, die sich nicht allein durch Ausbildungsoffensiven und Zuwanderung entschärfen lässt. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Rund 1,8 Millionen Pflegekräfte sind derzeit beschäftigt, die Zahl der Pflegebedürftigen stieg allein seit 2021 um 15 Prozent. Und der Ausblick ist ebenso klar wie ernüchternd: Bis 2049 wird der Bedarf an Pflegepersonal um mehr als ein Drittel zunehmen – während gleichzeitig rund 385.000 Pflegekräfte altersbedingt aus dem Beruf ausscheiden werden. Das zeigt eine Studie der Bundesagentur für Arbeit. Die große Frage ist: Wer soll diese Lücke füllen?

Vor diesem Hintergrund braucht es neue Denkmuster in der Versorgungsstruktur. Eine Lösung liegt bereits in vielen Haushalten – in der Betreuung in häuslicher Gemeinschaft. Gemeint ist dabei keine Pflege im engeren Sinne, sondern eine alltagsnahe, menschliche Begleitung durch Betreuungspersonen, die im Haushalt der betreuungsbedürftigen Person leben. Diese Form der Betreuung ermöglicht älteren Menschen ein längeres Verbleiben im vertrauten Wohnumfeld und wirkt so der Notwendigkeit eines frühzeitigen Heimeinzugs entgegen. Damit schafft sie nicht nur Lebensqualität, sondern entlastet das Gesundheitssystem dort, wo es am meisten unter Druck steht: in der stationären Pflege.

Pflegenotstand: Entlastung dort, wo das System an seine Grenzen stößt

Die strukturelle Analyse des Pflegearbeitsmarktes zeigt deutlich: Der Fachkräftemangel ist flächendeckend und betrifft nahezu alle Versorgungsbereiche. Zwar steigen die Beschäftigtenzahlen weiterhin, doch diese Zunahme wird inzwischen fast ausschließlich durch Arbeitskräfte aus dem Ausland getragen. Allein der Anteil ausländischer Pflegekräfte ist in den letzten zehn Jahren von sechs auf 18 Prozent gestiegen. Doch auch diese Bemühungen stoßen zunehmend an sprachliche, rechtliche und infrastrukturelle Grenzen. Zugleich wird der Anteil von Pflegebedürftigen, die ambulant oder stationär versorgt werden müssen, weiter steigen. In dieser Gemengelage braucht es Modelle, die Versorgungslücken nicht nur kurzfristig schließen, sondern langfristig tragfähig sind.

Betreuung in häuslicher Gemeinschaft hat hier eine doppelte Wirkung: Sie verhindert, dass ältere Menschen frühzeitig zum Pflegefall werden – und sie entlastet zugleich professionelles Pflegepersonal, indem sie den Zeitdruck aus dem System nimmt. Die Betreuungskräfte übernehmen keine medizinische Pflege, wohl aber grundlegende Aufgaben des Alltags: Hilfe bei der Körperpflege, Begleitung zu Terminen, hauswirtschaftliche Unterstützung und vor allem soziale Präsenz. Diese kontinuierliche Zuwendung wirkt präventiv. Viele Senioren berichten, dass sich ihr Zustand unter dauerhafter Betreuung verbessert – nicht zuletzt, weil Einsamkeit, Isolation und Desorientierung maßgeblich zur Verschlechterung beitragen.

Brücken bauen zwischen Betreuung und Pflege

Die Debatte über Versorgungslösungen darf deshalb nicht länger in den alten Grenzen von Pflegeheim versus ambulanter Dienst verharren. Betreuung in häuslicher Gemeinschaft ist kein Ersatz für Pflege, aber ein struktureller Vorgriff auf die Pflegebedürftigkeit. Sie kann helfen, Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern oder ganz zu vermeiden. Das entlastet nicht nur Familien, sondern auch Pflegefachkräfte, die in ihrer Arbeit wieder stärker auf das fokussieren können, was ihrer Kompetenz entspricht – die medizinisch-pflegerische Versorgung.

Die Herausforderung besteht nun darin, Betreuung und Pflege nicht gegeneinander zu denken, sondern aufeinander abzustimmen. In der Praxis bedeutet das: Einbindung von Betreuungskräften in bestehende Versorgungsnetzwerke, verbesserte Kommunikation zwischen Ärzten, Pflegediensten und Betreuern sowie rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen, die dieser hybriden Versorgungsform gerecht werden. Denn Betreuung in häuslicher Gemeinschaft ist kein zufälliges Modell – sie ist ein wachsendes Segment, das bereits heute tausende Familien stabilisiert und pflegerische Versorgungskosten reduziert.

Fazit: Betreuung in häuslicher Gemeinschaft ist Teil der Antwort

Wenn Politik und Gesellschaft den demografischen Wandel ernst nehmen, müssen sie mehr als die Pflegeberufe reformieren. Sie müssen die Lebensrealität älterer Menschen und deren Bedürfnisse nach Sicherheit, Nähe und Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellen. Betreuung in häuslicher Gemeinschaft ist ein vielversprechender Teil dieser Antwort – pragmatisch, menschlich und nachhaltig. Sie kann das Pflegesystem nicht ersetzen, aber wirksam ergänzen. Vor allem aber bietet sie Zeit. Zeit, die das System dringend braucht, um sich strukturell neu aufzustellen.